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Porträts

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«Nicht mehr gesellschaftsfähig»

Zum Tag der Seltenen Erkrankungen erzählt ein Luzerner von seiner Leidensgeschichte. Lesen Sie dazu den Beitrag:

Wie lebt es sich mit einer seltenen Krankheit?

Seltene Krankheiten kommen, wie es der Name schon sagt, nur selten vor. Trotzdem sind in der Schweiz 7% von einer solchen Diagnose betroffen. Zwei betroffene Frauen erzählen aus ihrem Leben.

Hier gehts zum Artikel.

«Sie haben Beals.»

«Was habe ich?» fragte ich den Arzt. «Sie haben das Beals-Hecht-Syndrom. Das ist eine sehr, sehr seltene Bindegewebserkrankung. Weltweit gibt es nur ungefähr 100 registrierte Fälle».

Denise Dätwyler – Ich sass da und war komplett sprachlos. Jetzt wurde mir nach so vielen Jahren endlich bewusst, weshalb ich so anders aussah. Ich habe eine Trichterbrust, verdrehte Knie- und Oberschenkel, Fussfehlstellungen, Kyphose und andere tägliche Begleiter, die sich besonders unter Belastung bemerkbar machen. Alles machte plötzlich einen Sinn! Mein Körper muss ja viel mehr leisten, als dies bei einem gesunden Erwachsenen der Fall ist.

Aufgrund meines sehr dünnen Aussehens und durch die Leistungsschwäche im Sportunterricht, wurde ich früher als Kind oft gemobbt. Damals gab es noch keine Diagnose. Ich galt als ein sehr mageres und unsportliches Mädchen, das doch einfach mehr essen sollte.

Beim Beals-Syndrom führt ein angeborener Gendefekt (FBN2) zu einem fehlerhaften Wachstum von Knochen und Gewebe. Zudem ist die Aktivität des lebensnotwendigen Proteins Fibrillin-2 gestört. Beim Beals-Syndrom können verschiedene Symptome auftreten. So z.B. Kontrakturen der Gelenke, unterentwickelte Muskulatur, lange und dünne Knochen, verkrümmte nach aussen gedrehte Arm- und Beinknochen, Kyphose, Skoliose, Herzklappendefekt, Aortenwurzelerweiterung, Störungen des autonomen Nervensystems, zerknitterte Ohren, ein rundes «Mondgesicht», kleiner Kiefer und Engstellungen der Zähne usw.

Heute kann man betroffenen Kindern helfen. Doch dafür muss die Krankheit in der breiten Öffentlichkeit mehr Beachtung finden. Damit Eltern die richtigen Schritte einleiten können.

Denise Dätwyler engagiert sich für Betroffene. Weitere Informationen finden Sie auf der Website Beals Schweiz.

Mélanies Weg, Teil eins: Auf der Suche nach Antworten

Mélanie suchte jahrelang nach Antworten, bis sie eine Diagnose bekam. Wir begleiteten sie auf ihrem Weg.

Sie lief von Arzt zu Arzt, Anlaufstelle zu Anlaufstelle, recherchiert stundenlang im Internet, bisher ergebnislos. Währenddessen werden die Symptome – Schmerzen in Armen und Beinen – immer stärker. Eine zermürbende Situation. Ans Aufgeben denkt Mélanie trotzdem nicht.

Schmerzen in Armen und Beinen

Alles begann im Jahr 2015. Als Mélanie beim Aufstehen vom Sofa plötzlich Schmerzen in den Beinen verspürte, dachten sie und ihr Mann zuerst an Muskelkater. Das war naheliegend, denn Mélanie war früher sehr sportlich. «Du musst weniger Sport machen», scherzte ihr Mann damals. Was sich harmlos wie Muskelkater anfühlte, sollte sich wenig später als etwas viel Gravierendes herausstellen. Nach einer Routineoperation im Sommer desselben Jahres verschlimmerten sich die Symptome schlagartig. Wenn sie sich längere Zeit nicht bewegte, verspürte Mélanie starke Schmerzen in den Extremitäten: «Meine Vorderarme und Hände sowie meine Beine wurden ganz steif. Ich hatte das Gefühl, erdrückt zu werden und verspürte stechende Schmerzen in den Gliedern», erinnert sich Mélanie.

Die Symptome nehmen zu

Nach über drei Jahren sind die Schmerzen immer noch da. Und werden intensiver. In der Nacht wird die 37-Jährige manchmal von einem starken Kribbelgefühl im Körper geweckt. Auf dem Rücken liegend, spürt sie ihre Beine, manchmal auch ihre Arme nicht mehr. Mélanie schläft schlecht und ist tagsüber völlig übermüdet. Während des Tages gehen die Schmerzen zurück, wenn sie in Bewegung bleibt. Da sie im Büro am Computer arbeitet, ist es nicht immer einfach. Gegen Abend schwindet ihre Kraft. «Eine Pfanne voller Wasser zu tragen oder harte Lebensmittel zu schneiden, bereitet mir Mühe, weil mir die Kraft fehlt», sagt sie.

Sprechstunde für Patienten ohne Diagnose

Seit dem Jahr 2015 wurde Mélanie von ihrem Hausarzt an alle erdenklichen Spezialisten verwiesen: Besuche beim Neurologen, Kardiologen, Gynäkologen, Rheumatologen und beim Psychiater haben bisher nichts ergeben. Woran sie leidet, weiss sie bis heute nicht. Bei ihren Recherchen im Internet stiess die junge Waadtländerin schliesslich auf die Webseite www.infomaladies-rares.ch der Universitätsspitäler Lausanne und Genf, welche Menschen mit seltenen Krankheiten Informationen und eine Hotline zur Verfügung stellt. «Seit kurzem haben sich zwei Ärzte der Sprechstunde für Patienten ohne Diagnose des Genfer Universitätsspitals meines Falls angenommen. «Ich erhoffe mir sehr viel davon», sagt Mélanie. Sie ist froh, eine Anlaufstelle gefunden zu haben, die mit Fällen wie ihrem umzugehen weiss. «Weil nichts Auffälliges gefunden wurde, hiess es bisher immer: Es ist alles normal. Die Schmerzen sind aber real. Das Gefühl nicht ernst genommen zu werden, ist sehr belastend», sagt Mélanie.

«Ich lebe Tag für Tag»

Mélanie arbeitet trotz ihrer Krankheit 100 Prozent als Rechnungsprüferin. Ihren Arbeitgeber hat sie nicht eingeweiht – noch nicht. Mélanie weiss, dass sie es nicht mehr lange für sich behalten kann. Umso wichtiger ist es für sie, ihrem Leiden endlich einen Namen geben zu können.

Die Rechnungsprüferin arbeitet zwar noch Vollzeit, darüber hinaus ist ihr Leben nicht mehr, was es einmal war. «Ich war früher hyperaktiv. Voller Energie, immer unterwegs, stark engagiert bei der Arbeit, ich habe daneben Weiterbildungen gemacht. Dazu viel Sport und Freizeitaktivitäten mit Freunden und meinem Mann abends und am Wochenende. Das ist jetzt vorbei», sagt sie. Mélanie geht nicht mehr Joggen oder Badminton spielen, auch das Nähen oder grössere Reisen hat sie aufgeben. Die Yoga-Lektionen, die sie über viele Jahre hinweg mit ihrem Mann regelmässig besuchte, wurden auch zu anstrengend. Sie musste ihr Leben grundlegend ändern, das fällt ihr bis heute nicht leicht. «Ich lebe Tag für Tag. Es ist schwierig, seine Grenzen zu akzeptieren».

Engagiert für isolierte Betroffene

Trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Erfahrungen engagiert sich Mélanie ehrenamtlich für andere isolierte Patientinnen und Patienten. «Das Schlimmste am Leben mit einer Krankheit, die scheinbar sonst niemand hat, ist die Einsamkeit. Man fühlt sich unglaublich alleine», weiss Mélanie. Dabei sind tausende Menschen in der Schweiz in derselben Situation. Sie leiden zwar an unterschiedlichen Symptomen, die Probleme sind jedoch im Kern dieselben. Sie möchte dazu beitragen, diese Menschen zusammenzubringen und ihnen einen geschützten Rahmen zu bieten, wo sie sich austauschen und informieren können. «Wir machen uns stark für das Recht auf Diagnose für alle Menschen, auch die mit einer ultra-seltenen Krankheit», sagt Mélanie. Und hofft, auch ihrer eigenen Diagnose bald einen Schritt näher zu kommen.

Mélanies Weg, Teil zwei: Endlich eine Diagnose für Mélanie

Endlich hat Mélanie 2020 eine Diagnose erhalten. Wir fragen bei ihr nach, wie es ihr seither geht.

Du hast nun endlich eine Diagnose erhalten. Kannst du uns erzählen, wie es dazu kam?

Anfang 2020, nach einem schwierigen Winter mit vielen Schmerzen, überwies mich mein behandelnder Arzt – auf meine Bitte hin – an das Universitätsspital in Lausanne (CHUV) für eine „Sprechstunde für angeborene Stoffwechselerkrankungen“. Ich habe diesen für mich wichtigen Termin minutiös vorbereitet. Aus dem Gespräch mit den zwei Ärzten respektive Spezialisten ging hervor, dass ich chronische Muskel- und Skelettschmerzen in meinen Gliedmassen habe. Da es keine Hinweise für eine metabolische Myotonie gab, vermuteten sie ein Ehler-Danlos-Syndrom. Sie schlugen deshalb meinem Hausarzt vor, mich an die Abteilung für Genetische Medizin des CHUV zu überweisen, welche auf diese Art von Bindegewebskrankheit spezialisiert ist. Gleichzeitig schickten sie meine Akte an das Schmerzzentrum des CHUV, wo ich rasch einen Termin erhielt. Die Ärztin, die mich dort Anfang Mai empfing, hat sich meinen Fall nochmals ganz genau angeschaut bis hin zu den ersten Symptomen im Jahr 2015. Sie hörte mir zu und untersuchte meine Gliedmassen, um die körperlichen Probleme, die ich ihr erklärte, zu verstehen. Nach zwei Terminen gab sie eine Vermutung ab: Small Fiber Neuropathie (NPF), also eine Erkrankung der kleinen Nervenfasern. Diese Diagnose wurde Anfang Oktober 2020 durch eine Hautbiopsie bestätigt. In der Zwischenzeit bot sie mir Lidocain-Infusionen zur Verringerung der Schmerzen an und um meinen Alltag zu erleichtern. Im Moment hat das die grösste Priorität.

Wie hast du dich gefühlt, als du die Diagnose erhalten hast und was hat sich seither für dich verändert?

Ich fühlte echte Erleichterung: Endlich ein Ergebnis, das physisch die chronischen Muskel- und Skelettschmerzen in meinen Gliedern bestätigt. Ich weinte, weil ich nach fünf Jahren endlich hörte, dass meine Empfindungen sehr real sind und nicht nur «in meinem Kopf», wie mir vorher so oft gesagt und unterstellt wurde. Die Schmerzen haben mein Leben echt auf den Kopf gestellt. Ich empfinde deshalb gleichzeitig Wut und Freude! Endlich kann ich der Krankheit einen Namen geben und bestätigen, dass das, was ich bis jetzt unternommen habe, um mir selbst zu helfen, das Richtige ist, um die tagtäglichen Schmerzen zu lindern.

Du hast nun einen Namen für deine Krankheit, die Ursache kann aber vielfältig sein und wurde noch nicht gefunden. Welche medizinischen Schritte sind geplant, um der Ursache auf die Spur zu kommen?

Tja, das ist das Frustrierende: Es sind keine medizinischen Massnahmen geplant, um die Ursache zu finden. Im Schmerzzentrum erklärten sie mir, es sei kompliziert und teuer, in die genetische Medizin einzusteigen. Die Ärztin konzentriert sich deshalb auf Lösungen, die meinen Alltag erleichtern.

Mit diesen Schmerzen zu leben, ist wie rund um die Uhr einen schweren Rucksack zu tragen. Sie sind ständig da. Ich kann diese Belastung zwar tolerieren, aber ganz sicher nicht akzeptieren. Durch die monatliche Lidocain-Infusion wird die Last zwar leichter und ich kann Aktivitäten unternehmen, die mir Spass machen, wenn die Schmerzen weniger stark sind, aber die Beeinträchtigungen bleiben. Ich werde darum alle Hebel in Bewegung setzen, um die Krankheit zu besiegen.

Du engagierst dich ehrenamtlich für Menschen mit seltenen Krankheiten. Welche Motivation steckt dahinter und welche Unterstützung erhältst du durch die Vereinsmitglieder?

Mein Engagement ist wichtig, weil ich möchte, dass auch Menschen mit anderen Krankheiten von den Erfahrungen aus meiner Krankengeschichte und meinen Ratschlägen profitieren können. Nicht jeder hat die Kraft morgens aufzustehen und zu kämpfen für einen Arzttermin und dann für noch einen und noch einen, bis endlich eine Diagnose gefunden ist. Das ist ein echter Hindernislauf. Wenn man leidet, muss man über sich selbst hinauswachsen und das kostet Kraft und macht mit der Zeit müde. Ehrlich, ich glaube ohne den Austausch mit anderen Betroffenen wäre ich heute nicht hier und könnte erklären, wie ich diese erste Diagnose erhalten habe, ich hätte schon vorher aufgegeben. An den Gesprächsrunden teilzunehmen, das gibt mir jedes Mal einen Schub positiver Energie.

Man sagt mir als eine meiner Stärken zwar nach, dass ich eine Draufgängerin bin und nicht aufgebe, bis ich etwas verstehe oder mein Ziel erreicht habe. Trotzdem habe ich in diesen fünf Jahren erkannt, dass ich auf Unterstützung angewiesen bin, um durchzuhalten und den Kampf weiterführen.

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